Fanny Herzich kann's nicht lassen - der etwas andere Bodensee-Krimi
Es war ein stiller Morgen am Bodensee. Die Art von Morgen, die in ihrer makellosen Ruhe verdächtig wirkte - als hielte die Landschaft kollektiv den Atem an. Dunst lag wie ein hauchzarter Schleier über dem Wasser, die Obstbäume blühten schweigend, und selbst die Möwen schienen sich auf leises Gleitfliegen zu beschränken.
Vom Hagnaus Kirchturm schlug es sechs. Eine Zeit, in der das Dorf für gewöhnlich noch schlief. Nur eine dampfende Kaffeetasse stand schon auf dem Fenstersims eines kleinen Hauses am Ortsrand, begleitet von einem Kater mit erstaunlich aristokratischer Haltung.
Drinnen saß Fanny Herzich, Anfang sechzig, jung geblieben, neugierig. Sie betrachtete den See, als wolle sie ihm ein Geheimnis entlocken. Vielleicht, weil sie spürte, dass unter seiner Oberfläche etwas lauerte, das älter war als das Dorf selbst. Etwas, das sich nicht länger verstecken ließ.
Auf dem Küchentisch: ein altes Notizbuch mit einem weinroten Lesezeichen, daneben ein Teller mit Lavendelkeksen. Mops, der Kater, hatte schon drei stibitzt.
Am anderen Ende des Dorfes, im kleinen Polizeiposten, brummte Kommissar Xaver Leibinger mürrisch in seinen Kaffee. Ein Mittfünfziger mit der Statur eines Bodensee-Schiffskapitäns und dem Temperament eines unterforderten Bullen im Frühlingsdienst.
Er war noch nicht lange in Hagnau, dieser kleine Posten sollte sein Neuanfang sein - ruhig, überschaubar, ohne Sensationen. Dass er ausgerechnet hier einer Verschwörung auf die Spur kommen sollte, bei der schwarze Kutten, verschlüsselte Briefe und geheimnisvolle Versammlungen eine Rolle spielten, ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht.
Und dass seine Sekretärin - Fanny Herzich höchstpersönlich - ihm bald mit eigenmächtigen Ermittlungen, illegal beschafften Archivalien und einem detektivischen Spürsinn auf die Nerven gehen würde, der Sherlock Holmes vor Neid hätte erblassen lassen - das wusste er auch noch nicht.
Der See schwieg. Der Steg am Ortsrand - der Wellenhofsteg - schien wie immer friedlich. Und doch flüsterte er jenen, die genau hinhörten, eine alte Wahrheit zu:
Die Stille täuscht.
Und Hagnau, dieses charmante, weinselige Dorf mit seinen Postkartenhäusern und verwitterten Rebstöcken, war gewiss schöner als alle anderen Orte am Bodensee.
Aber auch gefährlicher.
Gelesen von Bettina Bader.